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Leseprobe - Birkkenkreuz - Band 5: Die Wende

 

Prolog (Auszug)

"Eure Majestät, es ist sicher nur eine Idee. Aber wenn doch etwas daran sein sollte, können wir sicher mehr gewinnen, als jeder Lacher uns jemals verlieren lassen könnte!"
Der Gouverneur, noch gezeichnet vom Rauswurf aus seinem kleinen Schloss nördlich von diesem inzwischen verhassten neuen York, fern der Heimat, sieht lächelnd auf den König. Der weiß genau, dass er in den letzten Wochen nur veralbert wird. Erst ist da Rom mit den immer und immer wieder anzüglichen Forderungen, man könne sich nicht einfach so von der heiligen Mutter Kirche lösen, sondern müsste schon einen Weg des Miteinanders suchen. Ansonsten wäre jeder Bewohner der Insel nördlich von Frankreich von nun an nicht mehr bei Gott, sondern der Hölle verfallen. Dann diese Amerikaner, wie sie sich nenne, die sich erdreisten, eigene Waffen gegen die Krone zu richten. Wer konnte denn den Norden dieses verdammten Kontinents erobern? Wer baute dort erste Städte und ermöglichte den Einwanderern erst, überhaupt ein menschenwürdiges Leben zu führen? Und nun kommt noch dieser Nichtsnutz von einem Gouverneur, der nicht einmal in der Lage ist, seinen eigenen Dienstsitz zu verteidigen und sich auch noch auf einen Felsbrocken verdammen ließ. Nein, das ist… einfach zum Lachen. Nun ja, wenn es nicht gleichzeitig zum Heulen wäre. Heulen… ach was! Da ist nichts zum Heulen! Es ist, wie es ist. Er sollte schnell einige Truppen sammeln, sie auf Schiffe schicken und da drüben den alten Stand wiederherstellen!
Kreuz… Rom hängt den Kreuzen nach. Aber ein König ist mehr. Der kann regieren. Rom ist fern. Wenn er sich nur zusammennimmt, wird dieser… dieser… Bischof von Rom schon noch bemerken, was er verspielte, als er versuchte, England in die Knie zu zwingen. Er? Nein, ein Pius wird ihn nicht schaffen… so wahr er Georg III ist. Von Gottes Gnaden… und sicher nicht von Gnaden des Papstes! Der kann ihm gestohlen bleiben, darf in die Hölle… nein, soweit sollte er sich nicht versündigen. Wobei es ihm in den Fingern juckt. Kein Wunder!
"Was ist das nun für eine Geschichte mit einem Kreuz?"
Sein erster Minister ist es, der neugierig wird, sich nicht zurückhalten kann… Na toll! Nun bekommt dieser Howe auch noch Oberwasser! Generalmajor… wie konnte er sich denn nur auf diesen Titel einlassen? Und den Gouverneur… gewesenen Gouverneur… nun, den wird er richten. Da kann auch kein Kreuz helfen. Höchstens, um einen der Beiden daran hochzuziehen und ausdörren zu lassen. Oh weh… es ist schon schlimm bestellt um seine Lande!
Glanz und Größe. Georg schaut um sich. Ja, das hat er erreicht! Gut, die Entscheidung, dieses alte Stadthaus zu erwerben und sich hier eine ganz private Residenz einzurichten! Er sitzt mitten in London und doch in seinem eigenen Reich. Niemand kann ihn stören. Mal von den Heerscharen der Dienerschaft abgesehen… und die Hundezucht, der er einen neuen Platz suchen muss. Schon in der letzten Nacht fand er kaum einen Moment Ruhe. Diese Köter kläffen, wenn sich der Mond nur hinter den ewigen Wolken hervor und durch den Nebel der Stadt hindurch wagt. Ja, man sollte sich nicht so haben! Mal sind es mystische Morde, dann wieder Verfehlungen der Oberen. Zum Schluss bleibt der Dreck um alles herum. Diese Stadt braucht eine Erneuerung. Vielleicht bleibt ihm noch genügend Zeit, sich damit zu beschäftigen. Aber vorerst gibt es wichtigere Themen.
Rom…
Größe und Glanz… mal wieder anders herum. Er will auch so eine Größe ausstrahlen! Nein, kein Nachbau von Rom, nichts, was den Göttern… oder eben auch nur einem einzigen Gott… Ehre machen könnte… oder Ärger, weil man sich als Mensch nicht zu hoch stellen darf. Er zerbricht sich schon wieder den Kopf um Dinge, die ihm eigentlich egal sein könnten. Dieser bevorstehende Verlust der Kolonien in Amerika… nein, den muss er verhindern. Oder ist es gar sein Schicksal, dies nicht zu tun, eben im Verlust zu leben?
Verlust.
Sagt nicht Gott… spricht er nicht auf den Seiten der Bibel, dass man für wahre Größe auch auf etwas verzichten soll und muss?
Wahre Größe… in der Bibel… Georg lacht und hält sich den Bauch, sodass sein Minister gleich verhalten den Kopf wiegt. Erst letztens gab es wieder diese bösen Gerüchte. Die Blutlinie der Könige wäre besudelt, es gäbe Inzucht, und damit sei jeder Krankheit, jedem Vergehen der Natur gegen den Thron wieder Tür und Tor geöffnet. Sogar wagte man es, ihm vorzuwerfen, er würde sich mit Jungen und auch mit jungen Männern abgeben. Nein, das ist… nicht komisch. Wobei es ihn gleich wieder näher an die alte Macht brächte. Waren es nicht die Cäsaren, die Kaiser des antiken Roms, die es als normal bezeichneten, sich mit ihrem gleichen Geschlecht zu paaren, gar Weiber und Männer zur gleichen Zeit zu haben? War es nicht die heilige Mutter Kirche, die dann wiederum dieses Tun verabscheute? Man brachte Bischöfe direkt in ihrer Kirche um, als sie sich gegen diese Vorwürfe nicht wehren konnten, die Familien der angeblich missbrauchten Jungen sich auf sie stürzten. Dabei ist ihm, dem König, nicht nur ein Fall bekannt, in dem ein Mann der Kirche einen Knaben schützen wollte. Ihm war wohl dessen Leidenschaft bekannt und er versprach Schweigen… bis in den Tod.
Rom hat nicht mehr viel Macht. Das ist gut so! Der Kirchenstaat existiert nicht mehr und die Herrschaft über ein Reich, größer gar als Europa, die ist auch dahin. Der Papst ist nur noch eine Galionsfigur? Man sollte vorsichtig sein mit solchen Worten. Georg schaut fast erschrocken auf. Niemand kann erahnen, was er denkt.
Glanz und Größe sind dahin… für Rom. Für ihn auch?
Er lacht. Nein, für ihn nicht. Und er ahnt, dass ihn dieser Gouverneur, dieses kleine, miese Etwas, was sich feige von seinem Stuhl stahl, auf einen Felsen kletterte und auf die erste und beste Gelegenheit wartete, um die Kolonien für immer zu verlassen, dass der vielleicht wirklich eine Nase hat für eine Lösung?
Ein Kreuz… eher… das Kreuz?
Er überlegt. Dann lässt er seinen Erzbischof kommen. Der weilt gerade in London, weil es Georgs Lieblingstante nicht gut geht und sie bald das Zeitliche segnen wird. Ihr allein wollte er einen guten Weg in die andere Welt ebnen, eben den der Kirche. Auch wenn er den Roms ablehnt.
Cornwallis, der Onkel seines letzten und ehrlichsten Generalmajors in den Überseegebieten, ist schon seit 1768 Erzbischof von Canterbury und gleichzeitig, der Tradition verpflichtet, der Beichtvater des Königs. Mein Gott, denkt Georg, da sind es nun schon bald 250 Jahre, dass sich England von Rom abwandte… und immer noch wird von diesem Gift spritzenden Amt auf einem der unwichtigsten Hügel im Süden am Mittelmeer auf den Thron und das ganze Reich im Norden geschossen. Was bilden sich diese Kirchenmänner ein?

Der Erzbischof unterdessen tritt langsam auf den König zu. Er lässt sich nicht so leicht von der Umgebung und dem Singsang der Chöre in den Nachbarräumen blenden. Er weiß genau, dass Georg viel am Glanz gelegen ist. Größe… kann er damit wohl kaum zeigen. Doch das muss er auch nicht. Es reicht, wenn er ein starker Herrscher ist.
"Kommt, kommt her, Erzbischof!"
Der schaut erst verdutzt. Noch nie sprach ihn der König in Gesellschaft dermaßen vertraut an. Nun gut, die Zeiten sind hart. Da bleibt nicht viel Raum für eine lange Vorrede. Gut denn. Er lächelt milde. Ohne Georg säße er nicht auf dem eigentlich nur von einem Papst zu besetzenden Stuhl. In gewisser Weise sitzt da nun vor ihm sein Herr, der ihn nach Gutdünken auch wieder davonjagen könnte. Nun, er wird es nicht tun. Schon, um sich nicht vor Rom zum Gespött zu machen. Aber zu sicher sind diese verrückten Zeiten wohl nicht. Er muss sich besinnen und nickt den anderen Herren zu. Der Minister kann ihn mal… wirklich im Traum besuchen. So ein schmieriger Bursche! Doch der Gouverneur erscheint eher als Trauergestalt.
Die gebeugte Gestalt des Erzbischofs lässt die anderen Herren erschaudern. Mancher von ihnen dachte sicher schon, was wohl der Höchste im Himmel damit bezweckte, solch einen Mann zum Wichtigsten des Glaubens zu erheben. Nun, dass sein Neffe ein Mann der Waffen ist… das wissen alle. Der steht auch gerade. Trotz seines Alters. Und er hat Kraft. Nicht nur mit Worten. Der hier aber… man sollte ihn trotzdem fürchten.
"Kommt, mein Cornwallis, kommt nur her!"
Soll er etwas sagen? Einen Moment überlegt der Erzbischof, dann winkt er für sich ab, tritt näher zum Thron.
"Mein König, Eurer Tante geht es nicht gut. Ich nahm ihr zum wiederholten Male die Beichte ab. Sie meint, so viele schlimme Dinge getan zu haben, dass selbst dies nicht reichen kann. Doch ich war in der Lage, sie zu beruhigen."
Darum will er ihn doch sehen, oder? Einen anderen Grund kann sich der Kirchenmann nicht vorstellen. Die Jahre sind vorbei, in denen Georg sich von anderen vieles sagen ließ. Nun gut, egal. Er tat, was er tun musste… und informierte seinen Herrn. Der wird sich nicht freuen. Doch wenn die alte Dame nicht zu sehr leiden muss, am Körper und am Geist, dann ist das auch eine Art Erlösung… und ein wenig Glanz… des Guten. Keine Größe. Die hat diese ganze Familie nicht. Die Berichte aus Übersee, die ihn ebenso erreichen, bestätigen dies immer und immer wieder.
"Nun denn, mein wackerer Hüter des Glaubens, das sind gute Nachrichten. Habt Dank!"
Will der ihn veralbern? Gute Nachrichten? Schließlich fällt es dem Bischof auf. Ja, diese Männer, diese Herren und Schranzen… man hat ein ganz anderes Problem und auch Georg sieht es als etwas Ernstes an. Daher… nun ja… er soll wegen etwas ganz Anderem kommen und einen Rat geben. Georg? Er ihm? Nein, das ist… das kann doch nicht… Und wenn doch?
Sofort gehen Cornwallis einige Szenarien durch den schon müden Kopf. Kann er Macht erringen, sich etablieren, alle um den König herum beeinflussen, ihnen gar Weisungen geben?
Er ruft sich zur Ordnung. Noch kennt er die Frage nicht und sucht schon eine Antwort… nein, die sucht er gar nicht. Er sucht nach Möglichkeiten, den Ruhm der Antwort wieder in Macht umzuwandeln. Muss er sich nicht für solch menschliches, niederes, gar verwerfliches Denken schelten? Er ist so dumm… und doch nur ein Mensch. Nun, dann sollte er jetzt zuhören und sich möglichst weise verhalten. Nur so hat er eine Chance. Eine, diesen König zu beeinflussen… und damit sein eigenes Schicksal noch zu verbessern.
Glanz und Größe… für Cornwallis!
"Sagt einmal, Erzbischof, Ihr kennt Euch doch in allen wichtigen Dingen des Glaubens aus, wenn ich mich nicht irre?!"
Oho! Cornwallis spürt, wie sich seine Nackenhaare aufstellen und er nicht so recht erkennen kann, worauf der König hinaus will. Fast schon zu starr und abwesend wirkend schaut er auf die goldenen Borten der edlen und kostbaren Gobelins an den Wänden. Sie stellen verschiedene Szenen aus dem alten Testament, aber auch einige aus dem neuen und vor allem dazu noch viele von der Macht Englands berichtende Geschichten dar. Früher, erinnert er sich an Berichte seiner Verwandten und auch an Geschichten seines geistigen Ziehvaters, da war schon solch ein Zusammenspiel der verschiedenen Zeiten ein Frevel, der mit Exkommunion geahndet werden musste. Heute… leistet sich das Oberhaupt der Kirche Englands eben diesen Frevel, als wäre es Kunst. Und, das ist ja das Schlimme… es handelt sich wirklich um Kunst. Ob aber die Künstler im fernen Orient überhaupt wussten, welche Bilder sie da in Teppiche zu weben hatten und dass die eines Tages alle gemeinsam in nur einem Raum, auch noch dem des Höchsten Englands hängen sollten, wagt selbst der Bischof zu bezweifeln. Wobei… was interessiert es Sarazenen und Muslime, wenn sich ein in ihren Augen Ungläubiger an seinem eigenen Glauben vergeht? Nichts… natürlich nichts!
"Nun, mein König, Eure Majestät, ich kann zumindest versuchen, auf manche knifflige Frage eine Antwort zu finden. Doch um Gnade bitte ich, wenn mir einmal die Worte ausgehen sollten!"
Sonst, wenn er sich unterwürfig und doch ein wenig lustig darstellte, konnte Georg nicht anders und musste lange lachen. Meist fielen dahinein noch alle anderen im Raume. Heute verzieht der König keine Mine. Cornwallis beißt sich auf die Zunge, als er es bemerkt. Mist… ein Fettnapf für den Erzbischof! Er wütet innerlich… doch nur über sich selbst.
"Scherze sind es nicht, die ich heute hören will. Oder seht Ihr hier einen Narren, der diese noch besser als Ihr vortragen könnte?"
Georg setzt sich aufrechter hin. Sein Rücken schmerzt ein wenig. Er sollte künftig beim Reiterspiel und bei der Jagd nicht so sehr auf Sieg setzen. Wichtiger ist es doch, die Macht zu behalten… eben Größe zum Glanz, den er schon besitzt.
"Nun denn… erzählt mir und diesen Herren doch einmal, was es mit dem Kreuz Christi auf sich hat und wie es die Kirche prägte und heute noch beeinflusst?!"
Das Kreuz. Diese alte Geschichte. Oh weh… muss er sich jetzt dahinein denken? Was will der König von ihm? Cornwallis ist sich nicht schlüssig. Dann denkt er an ein Schreiben seines Neffen. Zweideutig wies dieser auf ein Geheimnis hin, welches sich mit dem Kreuz beschäftigen soll und das doch gar einen Ursprung oder mehr in diesem fernen Kolonialreich hinter dem Meer haben könnte. Ist darum… sind darum… Minister und Gouverneur hier? Ha! Da ist er wieder, der alte Scharfsinn! Fast will sich der Bischof auf die Knie schlagen, besinnt sich seiner Umgebung und der Würde, die er zu vertreten hat und die damit auch die des Königs bedeutet.
"Ja, das Kreuz… es ist ein Symbol und gleichzeitig ein Beweis für die Wahrheit der Bibel!"
Raunen unter den Anwesenden. Vorsicht! Sagt sich der Kirchenmann. Nimm nicht die Worte in den Mund, dass dieses Stück aus irgendwelchem Holz den Glauben infrage stellen mag. Damit würde er im selben Atemzuge auch den König infrage… nein, er denkt nicht zu Ende. Das wäre… nicht gut. Ganz und gar nicht! Der König und das Kreuz! Da ist ein Bild… dieser van Eyck muss es gemalt haben. Gute Figuren! Helena, Kaiser Konstantins Mutter, soll es gefunden haben. Wo? Man berichtet viel. Dann wurde es gar nach Rom verbracht. Wann? Niemand weiß Genaues. Doch die Berichte sind fehlerhaft. Einmal fehlen die rechten Jahre, dann sind die Namen falsch. Längst Verstorbene sollen Jahrzehnte nach ihrem Tode mit diesem Holz zu tun gehabt haben. Und dann gab es noch eine goldene Schatulle. Liberius, so ein Möchtegern-Papst in Rom, der sich jedem Herrscher versuchte anzubiedern, rettete die letzten Stücke und legte sie in ein goldenes Kästchen, das man eine Weile in Rom aufbewahrt haben soll… nun ja, man kann viel glauben. Nur eben… ein Kreuz, vergraben in der Erde… Er kennt manch von Lebenssaft strotzende Wurzel, die in der feuchten, gar in der trockenen Erde vergeht. Und da soll ein Kreuz, geschaffen um zu töten, diese Marter des Bodens überstehen? Jahrhunderte? Eine Kaisermutter fand es? Ist diese Geschichte nicht eher die falsche Legitimation einer Lüge? Cornwallis lacht in sich hinein. Einer Lüge, auf der die Kirche ihre Macht begründet. Nein, nicht die Kirche als Glaubensgemeinschaft. Rom. Die Ewige Stadt mit den vielen Herrschern. Keiner konnte sie wirklich halten. Weder die Griechen, die Römer noch… der Papst. Oh, er ist stolz auf die Krone! Soviel Verlogenheit sah und erlebte er selten, wie sie aus Rom um die Welt ging und doch verborgen gehalten wird. Und nun? Kann man Rom das Handwerk legen, den Papst endlich zum Schweigen bringen, England als eigenen Kirchenstaat legitimieren? Etwas anderes wird sich Georg doch von diesem bisschen Holz nicht erhoffen, oder? Ewige Ruhe und Glückseligkeit? Wohl kaum! Eher Glanz und… Größe. Man sollte Abscheu vor solchem Denken empfinden. Doch das brächte nichts.
"Mein Neffe berichtete, es gäbe Hinweise auf seinen Verbleib?"
Georg nickt versonnen. Oh ja, die gibt es, Erzbischof, die gibt es!
"Ja, Eure Majestät, mein König, ich weiß eine Menge über das Kreuz. Es ist nicht nur ein Wahrzeichen, sondern ebenso ein Zünglein an der Waage… der Geschichte. Denn als Konstantins Mutter damals angeblich eben dieses Holz ausgrub und in einem triumphalen Zug zum Kaiser brachte, da hielt die Welt den Atem an. Das Christentum bekam… Macht?"
Der Erzbischof schluckt bei seinen eigenen Worten. Fast hätte er ‚Größe’ gesagt und das wäre sicher… falsch. Denn Größe erlangt man nicht mit Holz und mit einer Geschichte, sondern nur mit dem eigenen Tun. Niemals anders.
"Macht… so, so. Und was wäre, wenn es diese Macht gar nicht gibt? Wenn vielleicht alles nur eine Lüge ist und kein Jesus an diesem Holz zum Christus wurde?"
Oh, ja, diese alte Theorie, für die schon einige ins Feuer gehen mussten… und sich bis zum Schluss nicht entschließen wollten, ein Gegenteil zu behaupten. Das war… dumm. Ja, sicher. Aber auch klug… und sicher nicht falsch. Denn es gibt keinerlei Geschichten aus den Jahren des Todes dieses Jesus. Hmm… vielleicht einen einzigen wirklich damals Entstandenen. Aber der scheint verschollen… oder irgendwer verbirgt ihn seither redlich, damit eben diese Wahrheit nicht ans Licht kommt.
"Lüge oder nicht. Eine ganze Religion gründete sich auf dem Martyrium des Heilands. Das sollte man nicht infrage stellen. Zumindest nicht, wenn man einmal in den Himmel einfahren will!"
Georg schaut skeptisch in die Runde.
"So, so! Ihr, Erzbischof, Ihr wollt mir doch nicht den Himmel verwehren, oder?"
Der lacht verschmitzt auf.
"Ich wüsste keinen wirklich wichtigen Grund, Majestät. Aber warum fragt Ihr nach dem Kreuz? Ist daran wirklich etwas oder sollte auch mein Neffe nur zu tief… in die Augen einer Indianerin geschaut haben und wurde dann von einem dieser Revoluzzer erschreckt, dass er sich nicht mehr an die Wirklichkeit erinnern kann?!"
Alle im kleinen Saal lachen. Das übertönt gar die Bauarbeiten, die Georg selbst zur Vergrößerung dieses Gebäudes anordnete und die ihm doch die Ruhe des Tages rauben wollen. Nachts Hunde, am Tage der Lärm von quietschenden Seilrollen und schimpfenden Knechten, die sich nicht mit dem Staub draußen abfinden wollen. Dabei sind es redliche Männer, die da bauen. Sogar ein paar Weiber sah er darunter. Stark… und den Kerlen dann sicher in den Pausen auch zu Gefallen… na, er sollte sich lieber nach einer neuen Mätresse umsehen. Die Bisherige, diese… er mag ihren Namen gar nicht aussprechen… die wollte ihn doch gar mit einem Kind unter Druck setzen. Was sich dieses Weibsvolk manchmal einbildet! Er vertrieb sie und nun hat sie gar nichts mehr. Nicht einmal ein schönes Kleid. In einer Bauernkate im Norden soll sie sich erinnern, was sie verspielte. Nun ja, ihre Schenkel waren stramm und er fühlte sich… als Mann bei ihr. Nie ließ sie sich einfach nehmen, immer musste er sie zwingen. Und dann stöhnte sie unter ihm, dass er in Lust verging. Doch die Gischt, die auch vor ihm nicht haltmachen wird, die spürt er schon. Ein einfaches Liebchen wäre wohl besser… und das Kreuz! Also, Cornwallis, sorge er dafür, dass dies auch wirklich ein Segen für England ist!
"Wenn ein König, ein Oberhaupt der eigenständigen Kirche dieses Landes, wenn ich also etwas besitzen würde, das den Gauben der Christenheit infrage stellt, Bischof von Canterbury, dann wäre das doch sicher für England gut, oder?"
Der Gefragte fasst sich erschrocken an den Mund.
Bestechung, Verrat… das sind kleine Vergehen und man kann sich mit ihnen arrangieren. Aber… Erpressung? Er erkennt genau, was Georg beabsichtigt. Ja, Erpressung. Den Papst in die Knie zwingen? Das wäre nach dem Geschmack dieses Königs! Und auch nach seinem? Cornwallis sieht es ein. Ja, auch nach seinem.
"Gut denn, Eure Eminenz von meinen Gnaden, dann schreibt Eurem werten Herrn Neffen, Ihr würdet es für England und die Krone als ein wichtiges Unterfangen ansehen, dieses Holz sofort nach London zu bringen. Und ganz nebenbei…", grinst Georg breit und reibt sich immer wieder über die Nase, die dabei ganz rot wird.
"…vielleicht kann er mir auch ein paar von diesen einfältigen Wilden mitschicken… ich hörte bisher nur von ihnen und zu einem Besuch da drüben hinter dem Meer werde ich nicht kommen. Er kann frei wählen. Jung und… weiblich, mein Erzbischof. Dazu das Kreuz… so ist allem gedient. Dem Land, der Kolonie und… Eurer Kirche!"
Lachend winkt er, dass sich alle entfernen dürfen. Zufrieden kann er sein. Den scheelen Blick seines Bischofs und Beichtvaters wollte er nicht wahrnehmen. Soll der doch ruhig denken, was immer er will. Der König ist das Maß aller Dinge. Ob nun auf Erden oder… na, in den Himmel wird er schon kommen, wenn dieser Kirchenmann ihm nur ordentliche Wege bereitet. Ein Gebet da, eine Messe dort und dazwischen eben… ein Weib und eine Depesche nach Rom. Oh, wie werden die sich dort alle am Boden wälzen und den Untergang der Welt beschreien! Aber zu spät! Hätte man sich auf dem Stuhl des Pontifex eher darum gekümmert, wäre kein Ärger mit England zu beklagen. Und dass die Krone heute mächtiger ist als die Tiara, wird sich auch nicht ändern, wenn diese aufmüpfigen Kerle um Jefferson und Washington seine Soldaten zum Teufel jagen!
Drei Schiffe liegen vor der tiefen Bucht von Honduras. Überall in der Ferne sehen die Seeleute ein reges Treiben an Land. Und die Kensington, die sicher schon vor einer Woche nach Osten aufbrechen wollte, scheint sich auf eine noch längere Liegezeit einzustellen. Dabei gäbe es dazu keinen Grund.
Eine kleine Gruppe in zivile und recht abgenutzte Kleidung gewandeter Wanderer kam erst letztens an den Strand und schleppte ein recht langes und ebenso breites eingepacktes Ding auf den Schultern. Bentler, der das Kommando über die kleine Flotte der Amerikaner führen darf, besah sich dies durch sein Glas und schüttelte abwechselnd mal wohlwollend, dann wieder fragend und unwirsch den Kopf. Natürlich erwarteten alle seine Männer nun endlich einen Befehl. Sollen sie diesen Kahn dort versenken oder für die noch nicht bestätigten Vereinigten Staaten übernehmen? Nein, keine Kriegsflagge steigt an den Seilen der Kent nach oben. Nichts. Ruhe. Sollte dieser Überläufer doch nur ein Verräter sein? Ist der Brite immer noch ein Brite und keiner von ihnen? Mancher Offizier schaut skeptisch und wundert sich doch, dass sich der Kapitän der Kent nicht gegen seinen Befehlshaber stellt. Der ist doch ein alteingesessener Mann, ein Seebär, wie man so schön sagt. Und die haben nun einmal stets den richtigen Riecher. Was auch immer ein Riecher ist… Doch wieder tritt Hoogan an Bentler heran, spricht scheinbar mit ihm über unwesentliche Dinge, nickt und geht seines Weges, ohne etwas zu rufen oder gar ein griesgrämiges Gesicht zu machen.

Birch schaut hinüber zu den drei Schiffen. Er weiß, was sie bedeuten, was sie ihm bescheren werden, und er erkennt nur zu gut den hohen Hut seines ehemaligen Widersachers, nun aber Freundes Bentler. Ihm bleibt jedoch kaum Zeit, über diese mehr als verrückte Konstellation nachzudenken. Immer wieder sind da einige in seiner Mannschaft, die sich in den Laderaum schleichen wollen, um das Öltuch abzureißen und zu sehen, was er aus den Ruinen holte. Oh, das war ein Kampf!
Paya will er nicht mehr sehen. Dabei sind sie hier die Ureinwohner, scheinbar gar Nachfahren jener frühen Menschen, die vor Jahrhunderten jene Ruinen schufen, in denen das Kreuz so lange lagern durfte. Es war ein schlauer Schachzug seines Vorfahren, es genau dahin zu bringen. Auch noch zu einer Zeit, als bisher kein Europäer vom hiesigen Festland wusste… offiziell. Die alten Berichte der rauen Männer aus dem Norden waren stets gut und erwiesen sich auch dann als richtig, als Baro Hinko damals die Santa Maria nahm. Ein Glück, das sie über all jene Gelder verfügten und heute noch verfügen, die eigentlich der Welt gehören sollten, nun aber für den Schutz dieser wichtigen Reliquie eingesetzt werden können.
"Nun, Birch, was machen wir? Sollen wir einen Ausbruch wagen oder eher hier warten, bis uns der Schiffsbohrwurm den Kiel aufbeißt?"
John Entigate, der Kapitän der Kensington und Weggefährte des Generalmajors, haut dem Birken auf die Schulter, dass der fast ächzend zu Boden gehen würde, wenn sie auf dem Boden stünden. Doch da sind nur Planken und das ewige Schaukeln des Schiffes macht alle Männer eher seekrank, als wenn sie mitten in einem richtigen Sturm alles retten und überstehen müssten.
"Wir warten bis zur Nacht bei Neumond. Gut noch drei Tage. Dann fahren wir ohne Licht in den Atlantik und hinüber nach England!"
Der Kapitän schüttelt den Kopf. Nein, nein, das wäre Wahnsinn! Diese Bucht ist zwar tief und sicher auch gut schiffbar. Aber… bei Nacht um die Klippen vor der Hafeneinfahrt herum? Das wäre… Selbstmord! Oder sieht er das falsch? Er schüttelt sich und denkt angestrengt nach.
"Lasst mich lieber eine Idee entwickeln, ja? Ihr seid kein Seemann, Birch. Ich aber. Schaut, dass Eure Ladung nicht geplündert wird… was auch immer es ist. Ich hoffe, man kann es essen, falls wir lange unterwegs sind. Wenn nicht… vielleicht verbrennen wir das Ding und schon haben wir wieder warme Hände, falls wir in Wind und Wetter zu kalt und zu nass werden."
Genüsslich sieht er die Sorgenfalten auf Birchs Stirn. Ja, der hat… nein, der hat keine Angst vor ihm. Sein Leben scheint ihm irgendwie egal zu sein. Komisch… Trotzdem. Dieses Paket, diese Ladung… was hat es damit auf sich? Wie kann man sein eigenes Leben für ein Stück aus einer alten Ruine hergeben, das so leicht ist, dass nicht einmal ein Nagel aus Gold darin stecken kann? Nein, da muss mehr dahinter sein. Er wird es nicht so einfach herausbekommen können. Schade eigentlich. Aber auch egal… ein wenig zumindest. Wenn er diese Fahrt an den drei Schiffen vorbei überstehen sollte, kann er auf See alles tun. Der Kapitän hat die Gewalt. Und Birch… ist ein Feind. Das trichterte im Cornwallis ein. Nun denn… dann wird er ihn auch als solchen behandeln. Das fällt ihm sicher nicht zu schwer!
"Haltet Euch davon fern! Wenn Euer König erfährt, dass Ihr es in Gefahr brachtet, wird er Euch sicher nicht nur den Sold für die nächsten Jahre streichen, sondern auch einen guten Platz im Tower finden, an dem Ihr verrotten könnt!"
Hmm… ein gutes Argument. Doch was einen König zu Solchem beflügeln würde… muss wertvoll sein. Im Verkauf von Wertvollem ist Entigate geübt. Zu oft schon besserte er sich seinen Sold auf… eine Heuer ist es nicht. Er steht im Dienste seiner Majestät und es ist Krieg… im eigenen Land. Also bekommt er auch einen Sold. Und nun hat er eine Aufgabe. Ob er sie erfüllen kann?
Stockfinster. Nicht einmal eine Positionslaterne verrät den Standort eines der vier Schiffe in und um die Bucht von Honduras.
Leiser Flügelschlag ist zu vernehmen. Nur Bentler achtet darauf. Niemand scheint auch nur daran zu denken, dass ein Vogel das offene Meer nicht sucht, sondern eher das Land. Ob nun eine Möwe oder eine Taube. Egal. Auch diese Tiere können bei Nacht nicht viel sehen. Sind ja keine Eulen. Doch die Wappentiere der alten Hauptstadt Griechenlands scheinen sich hier nicht wirklich heimisch zu fühlen. Vielleicht gibt es sie auch gar nicht. Trotzdem steht Bentler am Heck der Kent und schaut in die Finsternis. Ja, der Schlag… das ist ein Vogel. Nichts anderes. Er muss sich ein Lächeln verkneifen. Warum eigentlich? Niemand kann ihn sehen. Er zuckt mit den Schultern und tritt ein kleines Stück von der hinteren Reling zurück.
Es dauert nicht lange, dann geht das leise Schlagen in ein Pfeifen über, dem ein kaum zu vernehmendes Kratzen folgt.
Gelandet!
Zufrieden tritt Bentler an den Vogel heran.
Eine Taube. Die traute sich hierher? Nun, wie es seine Männer schafften, sie erst vor einer Woche über einen langen Landweg an Bord der Kensington zu bringen und auch so zu verstecken, dass nur Birch sie finden und deren Existenz dort deuten konnte, will er gar nicht wissen. Manchmal ist das Mystische, das Unerklärliche genau das, was das Leben ausmacht.
"Komm her!"
Vorsichtig streckt er die Hand aus. Dann meint er, in der Ferne eine Bewegung auf dem Wasser gesehen zu haben. Hmm… nein, der fahle Schein der wenigen Sterne, die durch die Wolkenlöcher schauen dürfen, kann nichts wirklich beleuchten. Oder sind es seine Sinne, die ihm dies auferlegen? Er sollte sich erst um die Taube kümmern!
Wie selbstverständlich lässt sie sich greifen. Dabei hat er kein Geschick im Umgang mit kleineren Tieren. Bei Pferden macht ihm niemand etwas vor. Aber vor diesen geschnäbelten Kreaturen… hat er eine natürliche Abneigung, wohl kommend von einem Adlerangriff mitten in der Wüste westlich von Louisiana.
Vorsichtig trägt er die Taube zu seiner Kabine. Die musste ihm der Kapitän zur Verfügung stellen. Darin hielt er sich meist irgendein Weibsstück, doch diesmal sollten keine Röcke mit auf die Fahrt gehen. Zu gefährlich, deren spitze Schreie und deren Todesangst, die sie schnell zu Verrätern werden lassen… Vorurteile. Bentler weiß es. Doch Hoogan ist nun einmal ein Trottel, wenn es um wahre Freunde geht. In ihm sieht er trotz allem auch nur… einen Engländer. Ihm soll es egal sein. Er kann damit leben. Aber Hoogan? Nun, er schützt ihn vor den zu neugierigen Fragen und Blicken der Besatzung.
"Kapitän, Kapitän!"
Jener einfältige Typ springt aus seiner Koje, als er das Wummern an der Kajütentür vernimmt. Wer, um alles in der Welt haut ihm denn in der Nacht die Träume aus dem Kopf? Wütend stapft er zur Tür, reißt sie auf und… ja, klar, der schon wieder!
"Bentler, Bentler, Bentler! Wundert Euch nicht, mein englischer Freund, wenn Ihr eines Tages doch noch an einer der Rahen baumelt und Euch gar nicht erklären könnt, warum! Vielleicht war es nur wegen Eurer lauten Stimme?"
Hoogan kichert. Dann jedoch schaut er in Bentlers Gesicht und wird still, bittet gar den Mann herein.
"Sie laufen aus. Jetzt in diesem Moment!"
Er braucht eine Weile, um die Worte zu begreifen. Gerade noch am Abend, als er vergeblich die dünne Sichel des Mondes am Himmel suchte, da war es ihm, als hätten sie endlich mal eine wirklich ruhige Nacht. Kein Kapitän, und mag er noch so ein Idiot sein, würde sich in der finsteren Nacht hinaus auf die Klippen wagen… auf… hahaha! Nun ja, vielleicht auch an ihnen vorbei. Diese Leute auf der nahen Kensington haben entweder mit dem Leben abgeschlossen oder sind dem Wahnsinn verfallen. Er glaubt eher das Letzte. Selbst mit wenig Todesangst lässt man sich nicht auf solch einen Wahnsinn ein!

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