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     und Foto: Stefan Jahnke

 

Leseprobe - Verschrieben

 

Epilog (Auszug)

...

Du bist verrückt. Das ist doch keine Geschichte, das ist ein Blutbad! Woher nimmst Du nur immer diese hirnverbrannten Ideen… das ist ja… das ist krank, mein Lieber. Und eines sage ich Dir… lesen wird den Mist sicher keiner!“
Manuela steht vor mir, wedelt mit meinen Manuskriptseiten herum und scheint wirklich zu meinen, was sie da sagt. Natürlich tut sie das. Sie ist meine Frau. Und als solche auch meine erste Leserin, meine strengste Kritikerin und… na ja… zumindest für mich die Frau, die ich nicht so richtig ernst nehmen kann. Denn alle Bücher von mir, die sie verriss, die wurden mehr als nur eben mal ein kleiner Verkaufserfolg… Ja, ich sollte nicht zu sehr auftragen. Die fünf Bände, die ich bisher schrieb… aber eben… wer sie las, der mochte sie.
„Nein, Karl, nein, das ist nichts. Lass die Finger davon. Du machst Dir nicht nur all Deine wenigen Leser zum Feind… die Presse wird Dich zerreißen und dann bleibt nicht viel von Dir übrig. Das verspreche ich Dir. Denk an meine Worte!“
Ja, das kann sie. Theatralisch Worte ausspucken und die ganze Welt bemühen. Aber ansonsten? Gescheiterte Journalistin, Mutter ohne Ahnung, einem Kind mal ein paar Schranken aufzuzeigen, und dann auch noch Kritikerin… na ja, zum Glück begreifen alle außer ihr selbst, dass sie nichts taugt.
Wütend stapfe ich auf sie zu.
„Da hast Du!“
Klatsch… früher hätte ich nicht so häufig die Hand gegen sie erhoben. Aber jetzt? Ich lasse mir meine Arbeit nicht von ihr kaputtmachen. Nicht von ihr! Niemals…!
Manuelas Wange ist rot. Sie sieht mich wütend an. Ich glaube gar, da ist eine gewisse Abscheu in ihrem Blick. Na ja, kann sie ruhig empfinden. Ich mag sie auch nicht und ich schelte mich einen Trottel, ihr überhaupt etwas von meinen Zeilen in die Hand gedrückt zu haben. Das ist… das war… einfach nur dumm!
„Schlagen kannst Du. Immer, wenn Du was nicht richtig machst und ich es Dir sage… dann schlägst Du mich. Das halte ich nicht mehr aus. Das ist… warte nur, ich werde Dir…“
Ja, die alte Leier… Nun wird sie drohen, mich zu verlassen. Kann sie aber nicht. Ich lasse es einfach nicht zu.
„Doch. Du wirst sehen… ich gehe. Und Du kannst nichts, aber auch gar nichts dagegen tun. Verspreche ich Dir. Lass mich vorbei. Ich packe und dann siehst Du mich nie…“
Was will sie? Ich reiße sie an den Haaren. Dabei stolpert sie über den Teppich und ich halte schon ein ausgerissenes Büschel in der Hand. Sie wimmert, hält sich den Kopf. Ich reiße sie hoch, schleppe sie in die kleine Kammer. Da kommt sie nicht raus. Das verspreche ich ihr. Und meine Versprechen… halte ich!
Rumms… Türe zu. Natürlich trommelt sie von innen dagegen. Aber sie kommt nicht raus. NIEMALS!
Oh, wie es hier aussieht… meine Blätter… bloß gut, dass ich die Seiten nummeriere. Ansonsten… mein Gott… das wäre ja…
Alles beisammen.
„Kannst Du mal mit dem blöden Getrommel aufhören? Ich lasse Dich nicht raus!“
Immer noch schlägt sie gegen das dicke Holz. Nun ruft sie auch noch und ich meine, ihr Trampeln auf den alten Dielen zu spüren. Na, die Ratten werden sich freuen!
Oh, noch so eine Sache, die sie mir vorwirft… wir müssen in diesem Loch wohnen. Dabei ist es doch ein schönes Haus. Groß, fast steril wirkend. Und die Kinder… na ja, die Großeltern sind froh, dass wir sie oft zu ihnen geben. Und da haben sie auch Platz. Wie heute. Ha, das ist doch alles nur…
„Halts Maul da drin, sonst kannst Du gleich die ganze Nacht bleiben!“
Stille.
„Karl… bitte… ich muss zur Toilette!“
Ich muss zur Toilette… pha! Sie will nur türmen und mich meschugge machen! Aber nicht mit mir!
„Mach unter Dich. Dann sitzt Du gleich in dem, was Du bist!“
Ein leises Wimmern ist zu hören. Na, wenn sie sich benimmt, kann sie in ein paar Stunden wieder raus.
Was ist das? Klingt wie ein Wasserhahn… och nö, oder? Jetzt läuft das Zeug auch noch unter der Tür durch.
„Verdammte Schlampe! Kannst Du nicht mal deine Pisse anhalten!“
Es stinkt. Schnell die letzten Blätter zusammensammeln. Ha, gerade noch geschafft! Na, die werde ich mir kaufen! Die Kammer vollpissen und dann noch von mir Einsicht erwarten!
Stubentisch… da will sie mein Papier nie sehen. Wie wenig sie sich bisher überhaupt mit meinen Büchern beschäftigt… lesen und meckern. Anstatt mal zu fragen, warum ich nun gerade das so und nicht anders schrieb… na ja, sie ist eben… ein Ekel!
Jetzt habe ich alles in der richtigen Folge. Morgen gehe ich zum Verleger und er wird wie immer begeistert sein. Na, sein Glück, mich zu haben! Aber gut… manchmal sehe ich bei ihm Zweifel. Er meint, ich würde mich von den guten Themen wegbewegen. Dieses Mal nicht. Alles so, wie er es will… spannend eben.

„Das, mein lieber Karl, das ist es!“
Robert sitzt nicht mehr hinter seinem großen Schreibtisch, der mich noch vor Jahren beeindruckte und mich auch ein wenig… na ja… ich hatte Angst, zu versagen. Aber das ist lange vorbei. Ich kann doch schließlich etwas und weiß, dass er nichts ist ohne mich, ohne die Autoren… eben ohne die, die ihm nicht nur die Ideen liefern, sondern auch noch die Texte.
„Verrückt, Karl, verrückt! Und auch noch so passend. Als wenn Du Hellseher wärst. Na ja, sicher nicht. Pass auf… irgendwann steht die Polizei vor Deiner Tür und fragt nach, wem Du die Story schon alles gezeigt hast… vor der Veröffentlichung. Wird lustig. Aber gut… das ist es… wirkt alles so real, so einzigartig und nacherlebbar… abgrundtief böse und… ach was, was muss ich dir das sagen? Weißt Du doch selbst. Also… Hut ab bei der Geschichte!“
Klar. War mir… ja, ich habe es… das wird ein Bestseller! Und wenn der erst einmal auf dem Markt ist, dann kann mir niemand mehr…

Beschwingt stapfe ich nach Hause. Ich sollte eine Flasche Schampus holen. Ja, keinen zu guten… der von Aldi reicht aus. Aber immerhin… ich habe einen Veröffentlichungstermin und ich soll nichts mehr umschreiben, nichts korrigieren. Robert meint, das wäre alles so gut, dass er das lieber in die Hände seiner Leute lege. Ehe ich noch was dran versaue… frecher Kerl…! Ich vergebe ihm fürs Erste.
Die Flasche steckt in der Manteltasche. Nun nur noch heim. Ich sollte heute die Manuela wieder aus ihrer Kammer lassen. Wird sich sicherlich… na ja, gestern bekam sie nichts mehr zu essen und zu trinken. Wozu auch? Hat eh' das eine oder andere Gramm zu viel auf den schon lange nicht mehr fühlbaren Rippen… hahaha!

Zuhause… es ist still. Heute Morgen versuchte sie noch, mich… halt, was ist das? Die Tür steht offen. Aufgebrochen? Nein, ganz sicher nicht. Aufgeschlossen. Wohl eher. Wer, verdammt noch einmal, wer hat denn…? Ah, ein Zettel. Oh, dieser verdammte…! Mein Schwiegervater. Er meint, er hätte das einzig Richtige getan und die Polizei verständigt. Na, das werde ich ihm noch austreiben, diesem… diesem… puh, hier stinkt's aber! Da liegen gar… na ja, die konnte auch nie alles bei sich behalten! Igitt!
Vorsichtig schaue ich nach meinem USB-Stick und dem Sparbuch. Alles da. Damit ist sie nichts, damit habe ich… aber der Rechner… die Tastatur ist kaputt. Das war sie! Stilettos… nur damit bekommt man das Ding klein! Und der Monitor? Ein Riss… ein Schnitt gar quer herüber. Toll! Als wenn sie einen Bestsellerautor damit treffen könnte! Ha… das werde ich…
Nicht jetzt. Ich bin sauer. Verdammte Geschichte!
Lärm draußen vorm Haus. Die alte Nachbarin links scheint sich aufzuregen. Wie nebenbei schaue ich aus dem Fenster. Ist das die Polizei? Warum? Hier? Und Manuela mit ihrem Vater weg? VERDAMMT!
Wütend schmeiße ich die Schampusflasche auf den Boden. Das Ding geht nicht einmal kaputt… das gibt es doch nicht, oder?
Ich greife Brieftasche, Sparbuch, USB-Stick und den Wagenschlüssel, renne in Richtung Garage, dann zum Dach. Vor dem Haus ist schon was los. Die schlagen gegen die Tür. Na ja, aber ich bin schnell.
Hinauf. Immer hinauf. Die Tür zu Boden und Dach ist immer offen. Schon wegen des Brandschutzes. Auf dem Anbau können nämlich sogar Hubschrauber landen und dahin kommt man über einen schmalen Gang von unserem Dach. Gut. Sehr gut!
Grinsen in mir drin. Doch mein Herz… das schlägt bis zum Hals hoch. Ich renne über das flache Dach, sehe drüben die Tür. Wenn die offen ist, bin ich weg. Hoffentlich hat der Trottel von Gärtner nicht… Ansonsten… na ja, hier sucht mich auch niemand!
Offen. Hinein und wieder hinunter. Ich verfluche, dass ich letzte Nacht wieder einen über den Durst… klar, ich wollte ja auch das blöde Gejammer von Manuela nicht mehr hören. Hält keiner auf Dauer aus! Eine Deutsche hat den Schmerz zu ertragen. Dabei hatte sie gar keine Schmerzen. Sogar Licht ist in der Kammer. Habe ich nicht abgeschaltet. Braucht sie sich also… verdammt, die ist trotzdem weg und ich habe die Bullen…
Tür auf, durch, hinunter. Ich renne immer noch, scheine das Gleiche laufend neu zu durchleben. Ist das so, wenn man kopflos wird? Wie selbstverständlich greife ich mir an den Hals. Ja, ist noch dran, das leere große Ding. Dabei brauche ich den sicher noch eine Weile, wenn mein neues Buch draußen ist und ich überall lesen werde.
„Herr Konrad, bleiben Sie stehen!“
War das eine Lautsprecherdurchsage? Nein, oder? Ich hasse das! Außerdem… hier, wo mich alle kennen? Ach was, die sind oben hinein und rufen durch den Anbau hinunter! Aber die können den Ausgang sperren… nein, können sie nicht, denn ich bin nicht blöde, renne lieber hinten heraus. Ist besser. Kann ich über zwei niedrige Zäune und durch dieses alte kaputte Waschhaus rennen und komme fast bei meinem Wagen raus… Wagen… pha! Auch schon ein Jahr alt, der Mercedes! Na, das wird bald anders. Ganz sicher!
Unten. Endlich. Ich renne. Waren da Gesichter und Stimmen am Vordereingang? Glauben die denn, ich renne einfach so…? Nein, oder? Ach was, die sind nur Bullen. Nichts weiter! Hätte ich die Mauser mitnehmen sollen? Kleines, hübsches Pistölchen. Gerade erst geschenkt bekommen. Habe zwar keinen Waffenschein, aber Munition. Hilft mir jetzt nichts mehr. Habe ich nicht dabei. Mist!
Da, der Hinterausgang. Der Garten ist hier nicht groß, aber eben hoch. Muss Unsummen gekostet haben, das alles anzulegen… na ja, macht mein Berater. Zumal das Konto noch voll sein soll. Meine ich zumindest. Manuela kocht jedes Mal, wenn der Steuerberater mit irgendwelchen Nebenkosten kommt. Na, muss sie jetzt nicht mehr. Nun weiß sie, dass so eine Kammer eben doch gut ist. Zumindest, wenn sie sich mal die Hörner abstoßen will. Besser so… sie ist schließlich auch nur eine kleine Schlampe. Frau, Ehefrau. Mutter unserer Kinder… und doch… na ja, Verachtung? Nein, dazu müsste ich sie jemals geachtet haben. Miststück… mehr nicht!

Meine Hose ist zerrissen. Der Zaun war doch höher, als ich dachte. Gut, schaut man sich auch nicht so genau an, wenn man nicht fliehen muss. Und dann… diese Wandnische in dem Waschhaus der Nachbarvilla… ich brauche eine Dusche und ein paar ordentliche Klamotten. Werde wohl zu Herbert fahren. Der kann helfen. Ewig darf ich auch nicht mit meinem Wagen… klar, oder? Der muss einfach abgestellt werden und dann… pah, wozu bin ich Krimiautor, wenn ich nicht einmal die Grundlagen beherrschen würde? Aber ich weiß nur zu gut Bescheid… natürlich tue ich das!
Da steht der Wagen. Der Stern vorn kann versenkt werden. Na ja, wie viele Generationen der deutsche Autobauer nun schon neu aufgelegt hat? Ich kann sie nicht zählen. Mein Werkstattmeister lacht immer lauter, wenn ich nach dem nächsten Modell oder einem breiteren Auspuff frage. Ich könne froh sein, dass ich so etwas Tolles fahre. Na ja, der nimmt mich auf den Arm.
Schnell den Motor an. Ich muss gleich hier in der engen Straße wenden. Da vorn geht es zum Hauseingang… wäre ungünstig. Da stehe ich dann… fahre eher… auf dem Präsentierteller vorbei.

Gas und Stoff… die Einfahrt war meine Rettung. Nun kann ich… oh, da klettern doch wirklich zwei Polizisten über den Zaun und machen mir Zeichen? Na toll… nun muss ich die Karre schneller losbekommen, als mir lieb sein kann. Aber erst einmal ans andere Ende der Stadt. Da kann ich zumindest… na ja… ich bin bei Herbert und der wird mir… der hilft. Ganz klar!

Nur Minuten später stehe ich in einer unbelebten Querstraße, krame mein Handy hervor. Zum Glück hat es bei meinen Klettereskapaden nichts weiter abbekommen, als ein paar unwesentliche Kratzer auf dem Display. Und Herbert ist auch zuhause.
„Klar, Karl, klar helfe ich Dir. Ist doch… na, wenn Du schon eine Lesung hast. Aber wie Du nun gerade Deinen Schlüssel… soll ich Manuela mal anrufen? Nein? Na klar, wenn Du ein Handy hast, hast Du das auch schon versucht. Glück eigentlich, dass wir fast die gleiche Statur haben, oder? Aus was liest Du denn? Ach, komm erst einmal her und dann reden wir, ja?“
Glück. Der wird sich noch wundern! Aber gut. Er ist ein Kumpel, der Herbert. Schreibt selbst seit Jahren. Damals drückten wir zusammen die Schulbank. Waren die wilden Jahre… Vorbereitung der Wende, dann endlich der Umbruch… und danach auch nur Mist. Für ihn nicht. Er konnte in die Firma der Eltern einsteigen. Und seine Frau? Ja, der fand so eine ganz Dumme… wagt sich nicht, ihm zu widersprechen. Aber ich musste ja die Manuela… na ja, egal!
Noch gut einen halben Kilometer. Ich stelle den Wagen hinter einen Müllcontainer und sehe zu, dass man schon wirklich dran vorbeifahren muss, um seine Nummernschilder zu lesen. Hier kann ich die Vorstadtstraßen nutzen und niemand wird mich sehen. Wie auch? Die suchen sicher auf den Autobahnen. Aber der Mercedes eines Herrn Konrad wird da vorerst nicht auftauchen!

Ich erreiche das Haus. Luxus… für mich zumindest. Alter Charm. Wie Herbert… alles nur geerbt. Er meint zwar, ohne ihn würde die Firma nicht mehr existieren, aber der Name… der Name macht es doch. Sehe ich bei der Schriftstellerei jeden Tag. Ohne einen Namen oder einen namhaften Verlag… man ist einfach nichts. Leider.
Klingeln. Ein paar Leute habe ich nur gesehen. Die nahmen kaum Notiz von mir. Dabei sehe ich… dreckig, abgerissen… aber eben frei, ohne die Bullen an den Fersen. Zumindest nicht direkt.
„Karl!“
Er umarmt mich. Macht er immer. Ein Freund eben. Wie auch Sven und Bernd. Aber auf Herbert verlasse ich mich mehr, als auf die anderen. Die sind… auch Schriftsteller. Und noch mehr…
„Mann, Du siehst… na, weißt Du ja. Komm, die Dusche ist bereit. Sachen liegen auch schon da. Dass so was jedes Mal passieren muss, wenn man kurze Elle hat, nicht?“
Ja. Und ich habe Zeit, mir beim Duschen auszudenken, wo ich denn nun lese, was ich da erwarte und so weiter. Herbert glaubt mir sicher. Ist Ehrensache. Wir belügen uns… fast nie.

Das Wasser ist heiß. Dann schalte ich es auf ganz kalt. Furchtbar… macht aber munter und soll auch stärken. Zumindest fühle ich mich nun sauber. Sauberer als…
„Karl, komm doch mal, ja?“
Herbert? Was denn nun? Eilig trockne ich mich ab, trete schon in der Stube. Mein Freund steht da mit hochrotem Kopf.
Der Fernseher ist an. Unten laufen die neuesten Meldungen über die Katastrophen in Japan durch. Aber oben… das ist… das bin doch…
„Kannst Du mir das bitte mal erklären, Karl?!“
Er zittert. Auf dem Tisch stehen zwei Cognacschwenker und eine schwere Kristallkaraffe. Er wollte es wohl wie in alten Zeiten angehen lassen. Verdammt, warum dachte ich nicht daran, dass er immer diese blöde Glotze flimmern lässt? Ich bin so ein Trottel!
„Stimmt das?“
Er zeigt nur auf den Flatscreen, der gut ein Drittel der Zimmerwand ausfüllt. Und er wird immer wütender.
„Manuela hast Du eingesperrt? Ihr Vater musste sie befreien und Du hast sie nicht mal zum Pinkeln rausgelassen? Du bist… ein Schwein, Karl, ein Schwein!“
Ruhig gehe ich zum Tisch, greife einen der Schwenker, trinke lässig und locker, scheine mich nicht daran zu stören, dass das Badetuch sich langsam verabschiedet. Viel wird er… na ja, seine Frau scheint gerade nicht da zu sein, oder?
„Karl? Ich soll Dir helfen, zu fliehen? Ich? Dir? Kannst Du vergessen!“
Er macht eine Handbewegung, die ich wohl nur richtig deuten kann. Dann greift er zum Telefon.
„Bleib da stehen und mach nicht noch mehr Mist, ja? Es reicht!“
Er beobachtet mich, wie ich langsam im Adamskostüm um den Tisch gehe, wie zufällig den Schwenker abstelle und die Karaffe greife.
„Karl, bleib da!“
Er drückt ‚110'. Vorsichtig, als wenn er damit etwas zerstören könnte, nimmt er den Hörer ans Ohr. Meine Rechte verkrampft sich um den Karaffenhals. Mit einem Male ist da dieses Gefühl… Torschlusspanik? Ich glaube, so kann man es beschreiben. Und als wenn ich nur beobachten würde, was ich tue, handle ich automatisch.
Griff, Sprung, Schlag…
Ich habe mir die Hand verletzt, spüre das Brennen des Cognacs in der leicht blutenden Wunde, suche nach dem Badetuch, wickle mir einen Teil um die Hand und sehe kaum zum leblos daliegenden Körper. Leblos… ich schreibe zu viel darüber… ich rede schon wie ein Schriftsteller… so ein Quatsch aber auch! Diese offene Stelle an Herberts Hinterkopf… jede Hilfe wäre sinnlos!
„Hallo? Teilnehmer? Hallo? Melden Sie sich bitte? Och nee, nich? Schon wieder so ein Spinner! Mach mal die Erkennung an!“
Klick. Weg. Erkennung… nun ja, bis die eine Verbindung zwischen mir und Herbert… wenn sie das Bild im Flur zuhause richtig anschauen, dann können sie auch eher…? Na ja, bei wie vielen Ermittlungen war ich direkt dabei? Es müssen so… wohl einige. Und ehe die wirklich Eins und Eins zusammenzählen… nein, ich habe Zeit!
Noch ein Blick auf Herbert. Oh, der war früher mal ein guter Kumpel. Hat sich irgendwie anders entwickelt, als ich es jemals dachte. Zu spießig, zu normal, zu wenig Biss…
Da liegen die Autoschlüssel. Er hat gar die Papiere daneben liegen. Ja, ich sage doch… spießig!
Noch einmal stehe ich in der Dusche, beseitige alle Spuren seines Blutes. Freund… na ja, hatte ich jemals wirkliche Freunde? Kann ich mir gar nicht vorstellen. Sind doch alle nur… so lange sie glauben, dass ich Ruhm und Ehre ernten werde, wollen sie die Ersten sein, die sich darin sonnen. Und sehen sie, dass es eine Weile dauert… Herbert nicht. Der war immer für mich da. Dummer Kerl… man soll nicht soviel Fernsehen schauen… das verblödet… und macht tot!

Die Sachen passen. Einen Koffer finde ich schnell. Ich packe alles ein, was in etwa meine Größe hat. Einen Anzug natürlich… der ist wichtig. Kommt in diese Tragetasche. Hab' ich oft bei anderen Kollegen gesehen. Hängen die meist hinter den Fahrersitz. Ja, gut… da knittert nichts. Kann sich vielleicht nichts Knitterfreies leisten, der Herbert? Konnte eher. Eine Flasche von seinem edlen Cognac. Noch Wasser und Saft. Bier, eine Kiste. Das passt in den Kofferraum. Und Geld… Er hat doch immer Geld im Hause. Safe? Na, nicht gleich so hoch greifen! Da steht eine Kassette. Der Schraubendreher und der Hammer… das reicht für das dumme Schloss. Billig… dafür habe ich nun an die viertausend… das reicht. Und wenn ich noch am Stadtrand den Automaten bis zum Limit stresse, können die mir eine Weile nicht hinterherschnüffeln. Handy aus und gut. Ich bin schließlich… na ja, durch das Schreiben vorbelastet. Kann man das so sagen? Ja, kann man. Aber Vorsicht… das wissen die auch. Nicht selten stolpern gute Leute über Arroganz. Kann man nachlesen. Bei mir!

Ein kleines Tor zur Straße. Natürlich hat er so etwas. Spießig. Wie in diesem Schulgedicht… ‚Auf einem Bänkchen unter Eichen, die noch nicht ganz darüber reichen…' pah… Spießer! Die sterben nun einmal jung! Hätte er wissen müssen. Und ich muss weg.

Stadtausgang. Irgendwo steht dieser kleine Bankcontainer. Wer auf die Idee kam, den hierher zu stellen? Dabei braucht man bis zur nächsten Sparkasse nur eine viertel Stunde… zu Fuß. Heute jedoch kommt mir das zu pass. Schnell noch… ja, das funktioniert. Tausend auf die EC- und noch einmal Tausend auf die Kreditkarte. Die andere? Klar… da bekomme ich nur fünfhundert. Reicht aber auch. Habe dann genug. Glaube ich zumindest. Und wenn ich jetzt… nein, ich hinterlasse keine Spuren. Hier fahre ich nicht weiter!
Die Stadt liegt still und ruhig. Irgendwo mittendrin werden einige Beamte versuchen, mich zu finden. Dann… haben sie es schwer! Aber ich werde noch was ganz anderes tun. Das ist wichtig. Schon, weil Herbert sterben musste… alles nur wegen diesem Trottel von Schwieger… Wie sagte er? Ich solle ihn doch ‚Papa' nennen. Pah… ich werde mich hüten! Erschlagen gehört er… oder erschossen. Der Mann ist… genau wie seine missratene Tochter. So eine Schlampe! Kann nicht einmal ein paar Stunden in einer Kammer hocken, ohne sich zu übergeben, herumzukacken und auch noch alles mit… na ja, mir wird jetzt nicht gerade viel besser, wenn ich daran denke!

Blumenstraße. Soll nicht nach den bunten Dingern mit Stiel benannt sein, sondern nach einem Ehepaar Blumen… nicht ‚Blume', sondern ‚Blumen'. Haben wohl was für die große weite Welt erfunden… und nun wohnen solche Looser da, wie Manuelas Eltern!
Da, das Haus. Langsam bis zur nächsten Ecke rollen. Herbert hat hier drinnen eine Sonnenbrille. Sieht zwar doof aus, so bei der ersten richtigen Sonne mit dem Ding durch die Straßen zu rennen. Aber damit erkennt mich erst einmal niemand. Hoffe ich.
Tür. Ich überlege. Der hat doch was gefaselt von… von… Papa ist der Beste… Papa! Na ja. Aber da liegt ein Schlüssel im Blumenkübel und ich muss nicht klingeln. Wirkt sicher blöd… ‚Hallo, will Euch nur schnell die Köpfe einschlagen. Darf ich rein?' Ha!
Tür ist offen. Niemand da. Komisch. Klar… die sind noch bei den Bullen. Hatten sicher… da rollt doch…
Vorsichtig gehe ich vor dem Fenster in Deckung. Eben rollt der Van von Manuelas Eltern auf die Auffahrt zur Garage. Volltreffer! Ich sehe mich im Zimmer um. Da, ein Kerzenleuchter. Klassisches Werkzeug! Schwer, gut zu greifen. Und da gibt es jede Menge Lampen mit schönen Elektroschnüren. Kabeln eben. Ein paar kräftige Rucke und ich habe schon drei bereitliegen. Man kann nie wissen!
Blick nach draußen. Manuela ist dabei. Und ‚Papa'. Er stützt sie. Oh, die Schlampe kann ruhig allein laufen! Na, bald nicht mehr. Das ist der krönende Abschluss. Und wenn ich weit genug weg bin, werde ich dann mitverfolgen, wie mein neues Buch anläuft. Das hier kommt ins nächste. Sicher. Niemand wird es für möglich halten, dass ich…
„Hatte ich nicht abgeschlossen?“
Diese Stimme hasse ich. ‚Papa'… von wegen! Aber er verwirft den Gedanken, kommt nun doch mit Manuela herein. Sie setzt sich gleich schwer auf das Sofa. Er macht wohl in der Küche was zu trinken. Soll er. Ich sitze hinter dem Sofa und niemand kann…
„Dass die ihn nicht erwischt haben, kann nur bedeuten, dass er gleich ganz weg wollte. Gut so!“
Es tönt aus der Küche. Ich höre das schwere Atmen von Manuela, überlege erst einen Moment, stehe dann auf und schlage einfach zu. Sie hat mich nicht einmal erkannt. Schade! Nun jedoch zu warten… das wäre…
„War was? Hallo Manu? Willst Du Zitrone ins Wasser?“
Nichts. Gleich kommt er sicher schauen. Blut läuft mir von der Hand und das Sofa wird auch nicht gerade trockener. Verdammt… ich hätte mir doch die Hand verbinden sollen… vorhin bei Herbert. Das brennt und ist wieder offen. Ich kann doch nicht ahnen, dass das Zuschlagen so staucht! Na, überstanden… bei ihr.
Langsam schleiche ich im Schatten der drei kleinen Zimmerpalmen in Richtung Küchentür. Steckt er den Kopf raus, ist er erledigt!
Noch ein Blick zurück. Da liegt sie. All die Jahre… na, einmal musste es ein Ende haben, das ewige Gängeln.
„Also Kind, Du darfst Deinem Papa ruhig antworten, ja? Und beruhige Dich… ist doch noch alles gut gegangen, oder?“
Was? Ach, meine kleine Aktion, oder? Na, das wirst Du bald ganz anders sehen, Freund Papa! Der geht mir auf die Nerven. Hoffentlich kommt er bald heraus! Oh… da ist ein Spiegel. Vorsichtig, um nicht in dessen Sichtwinkel zu geraten, muss ich etwas tiefer gehen. Dran vorbei. Nun sieht er mich mit Sicherheit nicht.
„Manu, ich komme!“
Toll. Meint er, sie würde wegen ihm erschrecken? Im Leben nicht! Na ja, nun natürlich erst recht nicht mehr. Schade? Nein!
Klingeln… laut schellt die Türglocke. Was ist denn das?
„Moment!“
‚Papa' ruft laut. Jetzt kommt er gleich. Achtung, zuerst der gebeugte Kopf.

...

 

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