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und Foto: Stefan Jahnke
Leseprobe - OneNightStand - Gefühle in Aufruhr
Prolog (Auszug)
...
"Hallo, Baumert, hallo!"
Er klopft, klingelt… nichts passiert. Schließlich öffnet die Nachbarin. Sicher nicht die mit Telefon. Erinnert er sich an die damals ellenlangen Durchführungsbestimmungen des Ministeriums, war darauf zu achten, dass Neuverkabelungen in den unteren Etagen zu erfolgen hatten. Zeit, Geld… alles war nicht da. Angeblich. Sicher sitzt diese Familie ganz unten im Erdgeschoss… er würde dem Kind gern die Meinung sagen, aber… na ja, eigentlich müsste man dessen Eltern beglückwünschen, denn es hielt sich eindeutig an deren Vorgaben. Heute… kaum mehr üblich.
"Hallo, mach doch auf, ja?"
Er schaut sich um. Hinter ihm steht ein Mann wie ein Schrank.
"Merkst Du nicht, keiner da?!"
Hmm… was jetzt? Er steht aufgeputzt, wie der feinste Pinkel, hier oben, trieft vor Schweiß und hechelt nach Luft und… muss sich auch noch dieses Kerls erwehren.
"Ja, ähm… ich suche den Sven. Auch seine Mutter."
Der Mann mustert ihn von oben bis unten.
"Aha."
"Ja, sie sind unsere Gäste und wir warten schon eine Weile auf sie…"
Jetzt kichert der Große vor sich hin.
"Ja, klar… eingeladen. Die… na ja, wollen sicher nicht kommen. Los, verzieh Dich!"
Verziehen… ja, was soll er denn noch hier? Da ist niemand… oder die machen eben nicht auf. Und sich vielleicht auf eine Schlägerei ein zulassen… ist keine gute Idee.
"Die Alte ist nichts für Dich. Die hatte schon jeden. Und der Junge… lässt sich von Dir sicher nichts sagen!"
Oho, er sollte seinen Eindruck von diesen armen Leuten revidieren. Die sehen genauso klar, wie er selbst. Anders schätzte er diese Familie Baumert nicht ein. Nur, dass er damit bisher leider bei seiner Tochter schlechte Karten hatte und Susanne nicht einmal das Wort ‚Abtreibung’ in Bezug auf Britta in ihrem Haus hören wollte.
Hmm… vertrakte Situation… er verfällt immer wieder in diesen Jargon. Mist! Aber lieber wieder weg.
"Ähm… ja, hat mich gefreut… und sollten Sie die Baumerts in den nächsten Minuten doch noch sehen… wir warten vor der Kirche. Immerhin ist es seine Hochzeit. In der Regel kommt man da…"
Der große Kerl steht mit offenem Mund und ungläubigem Blick vor ihm. Er empfiehlt sich und springt schnell die Treppen herunter. Wer weiß, was hier noch alles geschieht, denkt er sich und ist froh, als er den Motor erneut starten kann. Mann, hier lebt man eben nicht… und für Britta ist der Kerl auch nichts. Unglücklich macht der sie!!
Nachdenklich geht er die Straße entlang. Gleich steht er wieder vor der Kirche, und auch wenn alle ihn erwartungsvoll anschauen, kann er nicht viel sagen.
Blaulicht sieht er noch. Das war vor ein paar Tagen, als die beiden die Ringe kauften. Zusammen… gemeinsam. Na ja, früher machte man das nicht, aber wenn sie eben meinen, sie müssen mit den Dingern ein Leben lang auskommen, steht er ihnen sicher nicht im Wege. Bezahlen musste er trotzdem. Über seine Geldkarte buchten sie ab. Aufgerundet. Die Billigsten waren es nicht. Gelbes, rotes und weißes Gold… sündhaft teuer schon in der Beschaffung im höchsten Reinheitsgrad… und die Verarbeitung, dieses in sich Geschwungene… na ja, er steht auf die klassische Variante, aber das interessiert eh’ keinen. Er wäre zu alt und die jungen Leute eben anders.
Und dann übernachtete Sven bei ihnen. Hat auch diese DDR-Zeit eingerissen. Früher, ließ er sich von seinen Eltern berichten, gab es vor der Ehe nicht einmal ein unbeaufsichtigtes Beisammensein. Und heute… ziehen die schon zusammen… nein, nicht Britta und Sven… aber andere. Ziehen zusammen, bekommen Kinder, wechseln immer noch die Partner und… scheinen zu meinen, das Rechte zu tun. Was man eben als das Rechte ansieht.
Und dann hörte er diesen Schrei.
Blut. Er lief hin. Sah nur Blut. Susanne kam nach ihm. Sie schlug nur die Hände vor die Augen, gleich rief sie den Krankenwagen. Polizei hätte es sein sollen… dieser verrückte Kerl! Soll sich an anderen Weibern austoben, wenn sie sein Kind trägt! Nein, will er auch nicht. Obwohl… darf er Sven verbieten, was er selbst tut? Na ja, aber doch nicht direkt vor der Hochzeit… da ist alles wie im siebenten Himmel. Da hintergeht man sich nicht. Oder man bläst die Sache ab.
Bläst… er kichert und Susanne schaut ihn verständnislos an.
"Was hast Du erfahren? Kommen sie? Der Pfarrer will abbrechen. Noch eine halbe Stunde gibt er uns… höchstens. Diesen Organisten musste er heimschicken. Zum Glück kann die Tochter des Herrn Bürgermeisters… hörst Du mir überhaupt zu?"
Ja, sicher. Was soll das denn nun wieder? Bürgermeister… der soll sich mal nicht so aufspielen! Und der Organist… sündhaft teuer, dieser ganze Kram. Dann haut der auch noch ab und… na ja, man kann sich wirklich nur noch wundern!
"Hallo, sagst Du nun auch mal was?"
Er schüttelt sich nur, greift Susanne unter und geht mit ihr ein paar Schritte. Dann spricht er und sie schaut ihn nur fragend an.
Wieder sieht er die Bilder. Der Notarzt meinte schon, das Kind müsse geholt werden. Viel zu früh. Zum Glück nahm er sie mit in die Klinik und dann ging alles gerade noch gut.
"Er ist also nicht da. Toll. Was jetzt?"
Ja, was jetzt? Es Britta sagen, die sich an das Geländer der Kirchtreppe lehnt? Das bringt sie noch um!
"Komm, wir gehen hinein. Vielleicht können wir so zumindest etwas Peinlichkeit verdecken. Schnell, sage allen Bescheid… Britta kann nicht mehr stehen und den ganzen Alten geht es sicher nicht viel besser. Los!"
Fassungslos wegen soviel Mitgefühl schaut Susanne ihrem Mann ins Gesicht. Da ist doch mehr, als das eben Erzählte, oder? Was konnte er erfahren, was war los im Hause Baumert?
Er schüttelt nur den Kopf.
"Nicht jetzt. Ich will, dass wir hineingehen. Wir sind ja schon ein Stadtgespött!"
Gespräch eher. Sie korrigiert ihn nicht. Nur ein Schulterzucken kommt noch und dann geht sie langsam zwischen den Gästen hindurch, zum Schluss zum Pfarrer, der denkt, nun geht es wirklich los, auch wenn er den Bräutigam immer noch nicht sehen kann.
"So, hinein… gehen wir hinein…"
Die Alten sammeln ihre letzten Kräfte, versuchen sogar, ihre Haare noch einmal zu richten und die Hüte zureckt zu rücken. Nicht so einfach, wenn man nicht sieht, was man sich eben antut.
Herbert hat keinen Sinn dafür. Er stürmt vornweg und schaut in den festlich gerichteten Kirchsaal. Der ganze Aufwand… darf einfach nicht umsonst gewesen sein. Dann folgt Susanne, die Britta stützt.
"Sie braucht noch ein zweites Kissen… bitte, noch ein Kissen!"
Herbert hört das, will kein Aufsehen, denn es reicht ihm schon alles drum herum bis eben. Er geht zur rechten Seite, reißt ein Kissen von einem der Plätze und wirft es Susanne zu, die es gerade so fangen kann. Der Pfarrer schaut pikiert und schüttelt den Kopf. Na und, denkt der Werfer. Was soll der Aufstand, wenn es doch gar nichts gibt, was gerade klar zu sein scheint?
Im Krankenhaus sagten sie eindeutig, dass sie nicht gehen soll, die Hochzeit eben bis nach der Entbindung und nach genügend Erholung verschoben werden müsse. Nichts wollte sie einsehen. Und er auch nicht. Man kann so etwas nicht absagen… verschieben. Nicht bei dem Durcheinander, das sie schon erlebten, diese jungen Leute.
Umbringen wollte sie sich sogar… vor Monaten, als sie noch nicht schwanger war. Er ging fort und antwortete nicht… sie heulte und… na ja, ging noch einmal gut. Susanne konnte es verhindern.
Wieder Susanne… ist er denn zu gar nichts nütze?
"Wann können wir denn nun…?"
Herbert fährt aus den Gedanken auf.
"Wird schon. Setzen Sie sich einfach hin und warten, Herr Pfarrer!"
"Jens war mir noch nie geheuer!"
Herbert schaut zu Boden, als seine Tochter von diesem berichtet. Und der durfte den Junggesellenabschied planen? Muss er sich denn wirklich um alles kümmern oder darf er auch einmal darauf vertrauen, dass seine Familie das alles allein auf die Reihe bekommt?
Er schüttelt den Kopf.
"Jens, Jens… kenne ich den?"
Eine böse Ahnung steigt in ihm auf. Etwa dieser Schläger, der schon ein paar Mal im Jugendknast saß, nie mit dem System klarkam und jetzt… ein Fuhrgeschäft leiten will? Na, das geht sicher bald in die Hose. Obwohl… manchmal kann man sich gerade bei den Kleinigkeiten täuschen…
"Ja, kennst Du!"
Wirklich… dieser Jens? Der hatte laufend andere Weiber, hängt irgendwo in der Stadt ab und lässt ein paar dunkle Gesellen… na ja, nicht wegen ihrer Vergangenheit, sondern wegen der Hautfarbe, seine Geschäfte regeln. Sicher nicht der richtige Weg. Er will stets alles selbst in der Hand haben, über alles Bescheid wissen. Der Jens aber… na ja, Sven ist anders, aber er nennt diesen Kerl seinen Freund. Wie es wohl dazu kam?
"Schule… da ist das eben so!"
Er bereut seine Entscheidung, die Beiden heiraten zu lassen. Wer weiß, in welche Hölle der den Jungen schleppte?
"Jens… und wie weiter? Den müssen wir anrufen, ihn fragen… oder wir blasen die Sache hier ab!"
Britta windet sich in Schmerzen… nein, sie sitzt und zuckt nur immer wieder, hält sich den Leib. Susanne blitzt ihn böse an. Wie kann er jetzt so reden? Na ja, die Zeit ist eigentlich vorbei. Der alte Witz, sie sollen den Pfarrer von ihm grüßen und ausrichten, er wolle mit ihr verheiratet sein… der wird hier wahrscheinlich nicht funktionieren. Verdammt aber auch! Wie konnte er auf diese ganze Sache einsteigen? Manchmal, das ist wirklich ganz selten, da versteht er sich selbst nicht. Heute… ganz besonders oft!
"Ich habe keinen anderen Namen. Nur Jens. So stellte er ihn vor, so sprach ich ihn an… reichte ja auch. Und ehrlich… ich hatte… aua… ich hatte nicht einmal die Ahnung, dass ich den noch einmal sehen muss… dabei hängt Sven… hing er… ziemlich oft, zu oft mit dem zusammen. Bekam ich aber auch erst gestern mit, als er meinte, der würde alles für den Abend klar machen… was auch immer."
Na toll! Nun kann er ihn nicht einmal anrufen. Sicher gibt es in der Stadt ein paar junge Männer, die Jens heißen, oder? Diese Speditionssache… hilft die? Nein, er merkte sich nicht deren Namen. War ihm zu windig und darum wollte er mit dem eh’ nicht zusammenarbeiten.
"Wie geht es nun weiter?"
Der Pfarrer bat Susannes Mutter, sich kurzfristig einen anderen Platz zu suchen. Er müsse mit Herrn Hegewald noch einiges besprechen und das wäre besser nicht im Stehen zu tun. Sie schluckte, drückte Susanne, dann auch Britta die Hände und ging nach hinten, um sich mit ihrer Schwester zu unterhalten, die schon nicht mehr auf der harten Kirchenbank sitzen kann.
"Keine Ahnung. Wir warten. Was sonst? Müssen ja unterwegs sein, oder? Gab es das schon einmal?"
Der Pfarrer, erst gar nicht zuhörend, kommt gerade aus einer weit entfernten Welt zurück. Er schüttelt den Kopf, meint aber.
"Ja, doch nur dann, wenn die ganze Sache nichts wurde. Stets abgesagt… viele Tränen und natürlich jede Menge Kosten."
Klar, dass der Kerl nur daran denkt! Angewidert schaut Herbert auf den Opferstock gleich neben der ersten Reihe. Was der hier soll? Da muss sich doch das Brautpaar beim Verlassen der Kirche trennen… für einen kurzen Moment. Und vielleicht bleibt das herrlich weiße Kleid Brittas auch noch am geschwungenen Schmiedeeisenfuß hängen. Zustände… nur der Mammon. Na ja, der kommt ja aus der Kirche, oder? Er grinst breit, wird wieder ernst und schaut auf die Uhr.
"Geben Sie uns noch eine halbe Stunde. Dann ist sicher alles klar… so oder so."
Der Pfarrer nickt, erhebt sich und verschwindet durch eine kleine Tür neben dem Altar. Ja, soll sich nur verziehen. Immer diese Fragen! Herbert steht auf, geht ein paar Schritte, wendet sich dann zum Ausgang. Als er bei seiner Schwiegermutter vorbeigeht, schaut sie ihn fragend an.
"Kommt sicher gleich. Ich gehe ihm schon entgegen. Na, in ein paar Jahren werden wir alle darüber lachen!"
Er denkt an seine Hochzeit. Erwischt hatte ihn sein Schwiegervater, wie er auf Susanne lag und sie sich… eigentlich sträubte. Aber zugeben, von ihm vergewaltigt worden zu sein, wollte sie nicht. Nicht von so einem Kommunisten, der dazu seit Neuestem in der Parteileitung arbeitete. Wie auch immer… sie heirateten und taten wenigstens so, als würden sie sich verstehen. Das besserte sich dann noch und schließlich… sprachen sie beide von Liebe. Was sie jeder für sich darunter verstanden… na ja, das weiß er bis heute nicht von ihr. Für ihn jedoch ist sie… eben seine Frau. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Befriedigung… holt er sich wo anders.
Luft. Ah! Gut so… draußen geht es ihm besser. Da drinnen… das ist ja beklemmend… wie man sich so etwas antun kann!? Er schluckt. Na ja, vielleicht gar nicht so schlecht, oder? Nun lacht er auch noch. Die Kirche… so alt und stets gegen das Beisammensein von Mann und Weib… Aber wehe, ein getrautes Paar bekam keine Kinder… dann gleich wieder auseinanderreißen und neu verheiraten… besser so, meinte man damals wohl. Denn schließlich braucht die Kirche Schäfchen… gegen alle Verbote des Beischlafes. Ohne Menschen… kein Moos… und ohne Moos… na ja, das ist bekannt!
Er schaut sich um.
Nichts. Verdammt, so gedemütigt wurde er noch nie! Nicht ein Auto ist unterwegs. Und dem gab er auch noch eines von seinen… na ja, nicht das Beste. Nur ein kleiner Mercedes. Doch irgendwie musste sich der Kerl ja fortbewegen… meinte er zu ihm. Er hätte auf nichts eingehen sollen. Abtreibung und gut… dann den Kerl aus dem Haus werfen und nie wieder drüber sprechen.
Britta… sie heulte, als er einmal davon sprach. Sie würde gehen, sich umbringen, mit ihm zusammenziehen, weggehen, eben nie wiederkommen… in der Reihenfolge. Unlogisch. Macht Liebe… Logik zunichte? Er lacht kalt. Er ließ sich nie einlullen. Nein, nie! Wenn seine Sekretärin auf seinem Schreibtisch sitzt und er in sie eindringt, schaut er meist noch auf die aktuellen Börsenkurse. Und wenn sie zu laut stöhnt, küsst er sie eben, damit sie ruhig wird. Manchmal ganz schön lästig… sie kaut laufend Pfefferminz. Das Zeug… mag er nicht. Und ihren Gestank danach auch nicht. Aber… sie ist schön eng… und sie ist willig. Für ein wenig Kaviar… dazu vielleicht noch eine Flasche Champus… da tut sie alles. Auch das, was eine Frau normalerweise nicht tut und was selbst bei den Nutten im Bahnhofsviertel zu teuer ist… na ja, Weiber und… Geld. Er mag sie alle nicht. Aber das, was man mit ihnen tun kann.
Sven… auf den hat das keinen Einfluss. Den mag er auch… nicht. Na, jetzt auf jeden Fall. Wird eine ganze Weile dauern, ehe der ihm wieder sympathisch ist. Na ja, muss er das überhaupt? Wozu? Ist doch nur der Mann seiner Tochter… bald… wenn er heute noch irgendwann erscheinen sollte. Die Chancen… stehen nicht mehr gut. Er schluckt. Das wäre… so in etwa das Schlimmste, was geschehen könnte. Er steht hier und sagt den Gästen, sie könnten wieder gehen. April, April also… dabei haben sie… nicht April. Erst recht nicht den Ersten, an dem nicht einmal seine Kollegen versuchen, ihn auf die legendäre Schippe zu nehmen. Er dafür… die junge Praktikantin auf den Kopierer. Jetzt muss er grinsen… sie wollte nicht und er legte einfach die Blankokündigung auf das Gerät. Entweder, sie macht jetzt und hier die Beine breit… oder er unterschreibt. Sie tat, was er wollte… und tut es immer wieder. Sie braucht den Job… meint sie. Oh, die Weiber sind so dumm! Ihn verklagen? Wagt sich keine. Immerhin… er könnte vieles über sie berichten und dann… nimmt sie mit Sicherheit keiner mehr. Auch er nicht…
Es tuckert… seit Langem einmal wieder. Er erkennt den Motor. Nein, sicher nicht speziell den einen, aber, dass es sich nur um einen kleineren Mercedes handeln kann. Verflixt… er liebt Autos. Keine Frage. Aber… er kann mit ihnen wenig anderes anfangen, als sie zu fahren… und damit Weiber herumzubekommen.
Das… das ist sein Wagen. Verdammt… der kommt doch noch! Na, nun scheint alles gerettet. Der Kerl kann was erleben! Er wird ihn sich bei der Feier zur Seite nehmen und ein paar sehr klare Worte sprechen. Ob der sich daran hält? Kaum. Trotzdem… er ist da… die große Blamage bleibt aus. Zum Glück!
Langsam rollt der Mercedes direkt vor die Kirchtreppe. Die recht großen und gut sichtbaren Halteverbotsschilder scheint der junge Mann zu ignorieren. Es ist Wochenende, sagt sich Herbert. Heute kommt kein Polizist vorbei und dieses Verbot ist eine Farce… so, wie eine Spielstraße vor einer gut besuchten Autowerkstatt. Er grinst und geht auf die Fahrerseite, will Sven gar die Tür öffnen, als er erkennt… der kommt nicht allen.
"Hey, wer ist denn das?"
Sven reißt die Tür auf, springt heraus und reißt dabei Herbert fast um, der zurücktaumelt und sich an einer Straßenlaterne der schmalen Zufahrt festhalten kann. Dann, ohne ihn auch nur anzusehen, geht er auf die andere Seite und öffnet einer jungen Frau die Beifahrertür, sicher gerade zwanzig, wenn nicht noch jünger, lange blonde Haare. Blaue Augen blitzen Herbert an, der sich gerade wieder aufrappelt und versucht, seine Sinne wiederzufinden.
"Hey, Sven, ganz schön spät! Wo ist Deine Mutter?"
Der junge Mann, sicher nicht wie vereinbart in Schwarz, aber doch ganz ordentlich gekleidet, rümpft nur die Nase.
"Nicht da?"
Herbert schüttelt den Kopf.
"Nein. Zuhause war sie auch nicht. Aber ehrlich… auf sie können wir nicht auch noch warten. Ist ja schon… oh verdammt!"
Der Schwiegervater in spe schaut auf die Uhr.
"Kommt, kommt, schnell, in einer halben Stunde müssen wir schon in der Kneipe sein!"
Noch immer schaut er etwas irritiert auf die junge Frau, die sich gar nicht beirren lässt, Sven nur mit verträumten Augen mustert und gleich neben ihm nach oben steigt, als wäre sie die Braut. Na, egal. Jetzt kann nicht mehr viel passieren, sagt sich Herbert und denkt an seinen eigenen Junggesellenabschied. Wie viele Weiber hatte er, bis der Alkohol ihm die Kontrolle über seinen kleinen Mann nahm? Na, das geht sicher niemanden etwas an! Er grinst und nimmt zwei Stufen auf einmal, um dranzubleiben.
Die Gäste drehen sich um. Plötzlich hereinscheinendes Licht vom Portal her nimmt ihnen die Sicht. Sie erkennen nur zwei Gestalten, die sich schnell auf den Altar zubewegen. Komisch… keiner sieht aus wie Herbert.
Britta schaut zurück, erkennt Sven und… sieht die Frau neben ihm. Was soll das? Will er… ihr doch noch jemanden aus seiner bisher fast verschwiegenen Familie vorstellen? Sie schüttelt sich, spürt gleich wieder die eben etwas zurückgegangenen Schmerzen, schaut nach vorn, erhebt sich, weil sie den Pfarrer aus der kleinen Tür treten sieht, erwartet, dass ihr Vater neben sie tritt, um sie an Sven zu übergeben.
"Oh, viele da. Schön!"
Ein Raunen geht bei Svens Worten durch die Gäste. Einige nicken ihm zu, andere schütteln die Köpfe, denn sie erkennen die wahrlich nicht ganz passende Kleidung. Ihn scheint das nicht zu stören. Dann steht er neben Britta.
"Hallo, Schatz!"
Sie schaut ihn von oben bis unten an.
"Wo ist der Anzug?"
Anzug, Anzug… denkt er sicher. Sie sieht es ihm regelrecht an, doch er grient nur.
"Dachte, das hier reicht. Ist nicht so eng und unbequem. Stimmt’s, Marijana? Spießig ist nichts für uns…"
Für… uns…?
Fassungslos, nichts verstehend, schaut Britta auf Sven. Er ignoriert diesen Blick, dreht sich zu den Gästen, nickt noch einmal.
"Schön, dass Ihr alle da seid. Darf ich Euch Marijana vorstellen? Eine nette junge Frau, mit der ich eben… die Nacht verbrachte."
Die Bombe hätte nicht größer und gewaltiger sein können, die eben zu explodieren schien. Einige ältere Herrschaften fragen nach, was da eben gesagt wurde, lassen es sich erklären und verstehen doch nichts. Der Bürgermeister grient und seine Frau schlägt ihm die Schuhspitze in die Knie. Er jault auf und lässt sich auf den eben verlassenen Platz fallen. Herbert, noch nicht ganz bei Puste, steht nun neben dem Paar und… greift nach Brittas Hand, dann nach der von Sven. Er verstand nichts, einige der Gäste schon. Der Pfarrer schaut pikiert und fragend auf die vier vor ihm stehenden Personen.
"Was soll das jetzt?"
Herbert will auffahren.
"Na, was wohl? Lange genug gewartet… es kann losgehen. Los, los, Trauung, Herr Pfarrer!"
Der legt sein Buch, mit dem er eben kam, demonstrativ auf den Altar und verschränkt die Arme vor der Brust.
"Erst will ich wissen, was das soll?"
Herbert, einen solchen Widerspruch von niemandem gewohnt, dem er auch noch vorhat, einen ordentlichen Lohn für die Mühen zu zahlen, schaut den Mann Gottes an, will ihn vielleicht gar in Stücke zerreißen, doch der blickt nur neben ihn… auf das Paar? Das wäre richtig, oder? Nein, er schaut noch weiter nach Links.
Nein!
Was ist das?
"Ähm… Sven… könntest Du diese Frau da vielleicht loslassen und Dich Deiner Braut widmen?"
Sven grient ihn an.
"Gerne!"
Er lässt Britta los und greift der Tschechin, die noch kein einziges Wort sagte, der man jedoch irgendwie ihre Herkunft ansieht, weil Herberts Familie vor der Wende viele Urlaube im Nachbarland verbrachte und er Land und Leute genau studiert zu haben meint, um die Taille und zieht sie nahe zu sich.
"So, Herr Pfarrer, wie Herr Hegewald schon sagte… wir können!"
Der schaut nun ganz unschlüssig um sich.
"Ähm… wie…?"
Herbert kommt gerade wieder zu sich, sieht Britta nur zusammenbrechen, kann sie nicht halten, reißt noch an ihrem Arm und kann so gerade noch verhindern, dass ihr Kopf hart auf den Altarstufen aufschlägt, erkennt jedoch, wie sie sich wimmernd zusammenzieht und gleich wieder streckt. Sie schreit und Sven hat es nicht einmal nötig, sich zu ihr zu knien. Er küsst diese Tschechin und schaut nur amüsiert auf das Schauspiel neben sich.
Die Gäste stehen nun vollends und ihr Reden schwillt an, einige Schreie sind zu vernehmen, Sven meint, schon stampfende Schritte zu hören. Was soll das nun wieder, denkt er sicher, aber Herbert hat keine Zeit, sich darum zu kümmern.
"Britta… Schatz, komm… was ist denn? Komm, komm zu Dir!"
Er streicht ihr über die Wange. Gleich kommt Susanne herzu und irgendso ein Arzt, der einen Ausweis zieht und dabei meint, er hätte Ahnung. Sven schaut nur immer gelangweilter auf das Geschehen.
"Mann, wie die sich haben kann! Ist doch so viel besser, oder?"
Der Pfarrer wendet sich ab, als er Marijana an sich zieht und noch intensiver küsst.
"Junger Mann, könnten Sie nun einmal aufhören oder ist das gar nicht mehr möglich?"
Nichts. Sie küssen sich und der Arzt ruft und bittet, einen Krankenwagen zu holen. Scheinbar freut sich der Kirchenmann, eine Aufgabe zu haben, und rennt zum Pfarrhaus. Hilfe… will er gerne besorgen.
"Platz da!"
Drei Sanitäter und ein Notarzt kommen. Der Krankenwagen hält vor der Treppe, knapp hinter Svens Auto. Niemand hat Augen dafür. Alle stehen irgendwie um den Altar und schauen auf Britta, die dort liegt und deren Kleid sich um den Schritt bereits rot färbte.
"Zur Seite… bitte, wir müssen sie untersuchen, stabilisieren und… oh Gott! Na, prima… und mitnehmen… wenn da noch was… ähm… bitte, gehen Sie zur Seite. Hochwürden? Sagt man so? Können Sie diese Leute bitte aus der Schussbahn bekommen!?"
Der Pfarrer stört sich nicht an der falschen Anrede. Er geht herum, versucht, Herbert Hegewald zu normalen Handlungen zu bringen, hat bei dessen Frau mehr Erfolg, spricht mit ihr und schon geht sie los, redet mit jeder der kleinen Gruppen, die sich eben im Kirchenschiff bildeten, und wenig später verlassen die Ersten der Gäste den Raum, um sich draußen zu sammeln.
"Sie auch. Wir brauchen hier Platz!"
Er wollte sie nicht ansprechen. Das ist doch alles nicht normal, denkt der Pfarrer nur und will sich schon abwenden.
"Nein, nein, wir sind alle zur Trauung hier, oder…? Da können Sie doch endlich tun, wofür sie hier stehen!"
Frech klingt Svens Stimme. Ein älterer Herr, den er nicht zu kennen meint, kommt auf Sven zu.
"Komm, lass es sein. Du hast schon genug kaputtgemacht. Nicht auch noch das, ja?!"
Nun aber!
Klatsch…
Der Mann glaubt nicht, was mit ihm geschieht. Ohne Vorwarnung holte Sven aus und ließ die nicht gerade leichte Rechte in seinem Gesicht landen.
"Was hängst Du Dich hier rein? Ist das meine Trauung oder Deine?"
Stolz zieht der junge Mann die Ringe hervor.
"Hier… die habe ich auch. Und ich will jetzt heiraten. Los, Pfarrer… den Segen oder wie das heißt. Und dann kannst Du meinetwegen Wochenende feiern. Los jetzt!"
Der Mann im schwarzen Ornat mit dem unverkennbaren Stehkragen weiß nicht, was er tun soll. Der alte Friedensstifter hält sich die Wange, schüttelt immer wieder seinen Kopf, um etwas klar sehen zu können, und als er die Hand einen Moment wegnimmt, könnte man erkennen, wie rot und unterlaufen seine Wange bereits jetzt ist. Doch niemand hat einen Blick dafür. Die Mediziner inklusive des Gastes mit ärztlicher Ausbildung hocken um Britta, die Gäste sind draußen und der Pfarrer will eigentlich nur geistlichen Beistand geben, kommt jedoch nicht dazu. Wie denn?
"Nichts zu machen. Tut mir echt leid. Vielleicht besteht noch eine kleine Hoffnung im Krankenhaus, aber das Kind ist wohl… verloren. Ich hoffe, sie selbst besitzt noch genug Kraft. Wievielter Monat?"
Besorgt vermerkt der Notarzt den Achten und dass es bereits in den letzten Tagen Komplikationen gab, sie sich nur für diese Trauung fit halten wollte.
"Nothochzeit… kein guter Beginn für ein Kind!"
Herbert will auffahren. Eben kam er wieder von draußen herein und schaute besorgt auf seine Tochter. Die atmet nun ruhig, aber der große rote Fleck auf ihrem Hochzeitskleid sagt viel aus über ihren wirklichen Zustand.
"Not… Not… Sie kennen doch die jungen Leute! Na ja, was soll man machen. Wie geht es ihr?"
Der Notarzt versucht, die Situation so milde wie möglich zu schildern. Schließlich gibt er ein Zeichen und seine Helfer fahren die Trage zum Portal, hieven sie die Treppe zum Fahrzeug hinunter und steigen ein.
"St. Joseph Stift. Die Kollegen dort können Ihnen sicher mehr sagen… nach den ersten Untersuchungen. Will jemand mitfahren?"
Susanne springt auf, kniete eben noch neben der Liege, sah gar nicht, dass die schon im Wagen verschwand, schaut ungläubig auf den Ort vor ihr, dann um sich, nickt ihrem Mann zu, der ihre Hand drückt.
"Komm nach, ja?"
Er sagt etwas und sie nickt noch einmal, springt in den Wagen, setzt sich auf den für solche Fälle vorgesehenen Notsitz und schon schließt sich die Tür, fährt der Krankenwagen mit Blaulicht und Martinshorn ab. Bald ist er nicht mehr zu sehen.
Leute bleiben stehen. Bis eben war niemand unterwegs, jetzt aber, da ein Krankenwagen vor der Kirche hielt, kommen sie aus den umstehenden Häusern, schauen noch einmal auf die Gesellschaft, die sich nach wenigen Worten von Herbert aufzulösen beginnt.
Er selbst schaut auf den Mercedes vor der Kirche.
So ein Bastard!
Schmach… nein, die verspürt er nicht. Es ist eher ein Ekel. Dieser Kerl sollte sein Schwiegersohn werden? Er schluckt. Manchmal meint es das Schicksal vielleicht doch gut mit ihm? Diese Sache hier ging zum Glück zu Ende, ehe sie wirklich begann. Zu dumm eben nur, dass Britta betroffen ist. Würde er so etwas in der Zeitung lesen… na ja, vielleicht würde er einfach weiterblättern, meinen, so etwas könne ihm nicht geschehen? Ach was… schlimm genug. Er kann es nicht begreifen. Seine Britta… und dieser Ganove! Wo ist der überhaupt? Noch in der Kirche? Dem nimmt er den Wagen ab und dann soll der sehen, wie er kommt! Geschiedene Leute… ohne Scheidung…
"Was ist so schlimm daran? Sie sind hier, wir wollen heiraten und alles ist vorbereitet. Los, los, schnell… tut sicher nicht weh, oder?"
Der Pfarrer fühlt sich bedrängt. Einerseits kann er kaum etwas gegen die Argumente des jungen Mannes sagen, andererseits kann und darf er ihm einfach diesen Wunsch nicht erfüllen… bei aller Nächstenliebe und der christlichen Verpflichtung in seinem Innersten… der da tat… Unrecht. Er gab vor, eine Frau zu lieben, sie zu ehren und heiraten zu wollen… und nun steht er hier mit einer anderen, während die eine eben wegen ihm zusammenbrach. Ganz zu schweigen von all den anderen Umständen, die bei Britta Hegewald nicht zu übersehen waren… und für die dieser Sven Baumert verantwortlich sein soll.
Zustände… das hat nichts mit Wende zu tun. Nur… mit Chaos!
"Nein, ich werde Sie nicht trauen!"
Eben hören die Drei Schritte hinter sich. Herbert. Wie ein Monster geht er auf Sven los. Der braucht nicht lange und schon fliegt der Vater seiner ehemaligen Freundin nach hinten, kracht hart gegen die vordere Kirchbankreihe und kann sich kaum halten. Zum Glück tat er sich wohl außer einiger Blessuren nicht auch noch etwas.
"Du… Du… ich will die Schlüssel!"
Dann denkt er an die Ringe, sieht diese kleine Schachtel in Svens Hand, die der eben zuklappt und in seine Tasche stecken will.
"Her damit! Das sind auch meine!"
Der junge Mann lacht.
"So, so, Deine? Wüsste nicht, warum? Das sind meine Ringe… und im Kleineren steht mein Name, im Größeren der von Marijana. Wohl kaum ein gutes Argument, wenn Du behauptest… es wären Deine Ringe? Komm, troll Dich!"
Erst begreift Herbert Svens Worte nicht, dann durchzuckt ihn die Erkenntnis. Von wegen in der Nacht kennengelernt… gelinkt hat er sie… alle führte er hinters Licht. Verdammt! Der wollte Britta gar nicht heiraten und er Trottel bekam es nicht mit, bezahlte auch noch die Ringe, die der da gleich für seine neue Liebschaft anfertigen ließ. Vielleicht auch noch in deren und nicht in Brittas Fingergröße? Er könnte fluchen!
"Nun komm runter und verschwinde. Wir haben hier noch zu tun, nicht wahr?"
Die Tschechin küsst ihn, wirft Herbert einen eiskalten Blick zu. Na, an der wird er auch nicht gerade die Freuden der Welt haben. Ob es nun eine gute Erkenntnis ist oder nur… ein Wunschdenken? Der Geschasste weiß es nicht. Er flucht und steht auf. Beim Hinausgehen hört er noch, wie der Pfarrer ebenfalls verschwindet. Wenigstens das funktionierte nicht. Schlimm genug bleibt trotzdem alles. Er muss ins Krankenhaus. Die Sache mit dem Auto… klärt er später.
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